Bemerkenswert

Bücher

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Taschenbücher von Harald Timm, veröffentlicht bei amazon self publishing, nicht Mitglied irgendeines „Literaturbetriebs“, Hobbyautor und Rentner mit Katze.

Bürger eines verschwundenen Landes im Exil,  ohne Heimat, jedoch gut versorgt mit allem, was es braucht zum Leben.

Franz Summer, ein Pseudonym nur für dieses Blog, sucht keine Anhänger und ist nie selbst Anhänger von wem oder was auch immer.

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Tante Christine

Sie lachte gern.

Schon als Kind hat sie gern gelacht, ihre inzwischen verstorbene Mutter hatte das oft erwähnt.
„Die Chrissi war schon immer eine Lachmaus“, hatte die Mutter gesagt und blickte in die Runde, wenn sich die Familie zu einer Feier versammelte.

Niemand dachte darüber nach, Kinder haben dieses unbekümmerte Lachen, das sich nicht um das Ende aller Tage und Fröhlichkeit kümmert, wenige Alte verlieren es nicht. Tante Christine hatte es sich bewahrt wie einen Schatz, der nur ihr gehört.
„Und sie war immer so schön kitzlig“, hatte dann noch die Mutter hinterher gesagt, um ihre Verbundenheit mit Tante Christine zu betonen. Alle waren dann gerührt gewesen, zwischen den beiden, das war schon was besonderes.

Damals war Chrissi schon längst keine Chrissi mehr, sondern eine Chris. Vielleicht war sie Mitte zwanzig oder auch schon Anfang dreißig, irgendwo dort, was man gemeinhin die Mitte des Lebens nennt. Jedenfalls, wenn man selbst noch nicht fünfzig ist.
Nur die Mutter nannte sie weiterhin Chrissi. Damals.
„Ja“, bestätigte dann meist ein Onkel, „aber warum hat sie eigentlich noch keinen Freund?“
Die Familie sah sich reihum ein wenig besorgt an. Sie sprachen über Chris, als wäre sie selbst nicht anwesend. Und Chrissi oder Chris lachte aus lauter Verlegenheit.
„Das verstehe ich auch nicht“, sagte damals die Mutter, und sie sah ihre Chrissi forschend an.
Diese lachte wieder und wurde dabei rot.
„Vielleicht ist sie zu wählerisch“, kommentierte die inzwischen verstorbene Mutter.
Und dann sagte eine anderer Onkel, „vielleicht mag sie auch keine Männer.“
Und alle lachten. Nur da wurde Chris ernst, als würden die Worte in ihr Herz schneiden wie ein Messer in Butter.
„So ist es nicht“, sagte sie nur.
Daraufhin blickten alle ernst, bis sie wieder diejenige war, die lachte.
„Ich bin nicht in Panik, wenn ihr das meint“, sagte und lachte alle aus..
Sie ist ja noch jung, stand ihr die Mutter bei und schaute sie mit der gewissen Zärtlichkeit an.
Diese Zärtlichkeit, die Chris so sehr bei den Männer vermisste, bei denen wie in einem Polarwinter sich nie die Sonne zeigt, weil sich ringsum Berge aus Eis türmen, eisige Ernsthaftigkeit wurde das bei älteren Menschen. Was gibt es da zu Lachen, heißt es. Es gibt aber auch Menschen, die brauchen die Sonne… zu ihnen gehörte Tante Christine, die ihre Jahre älter wurde, doch die Familienfeiern fanden immer noch statt.
Und Chris erschien nie in Begleitung eines Mannes. Eines Tages war sie vierzig. Alle jüngeren Geschwister hatten inzwischen geheiratet und selbst Kinder bekommen, und die Familienfeste wurden lauter und lustiger.
Irgendwann hieß dann Chris nur noch Tante Christine.
Sie hatte sich verwandelt. Sie war ein Kokon gewesen. Und auf einmal war sie geschlüpft zu einem Schmetterling, zu einem exotischen Wesen.
Und auf einmal hörten auch alle auf, sie wegen der fehlenden Männer zu hänseln.
Am liebsten saß sie bei den Kindern und lachte. Ja, sie lachte immer noch gern. Und niemand sah die Einsamkeit ihrer Seele in einer langen Wüste des Alleinseins. Ein jüngerer Cousin brachte einmal noch das Gerücht auf, sie hätte ein Verhältnis mit ihrem Chef.
Tante Christine arbeitete als Sekretärin in einem großen Betrieb. Emsig arbeitete sie sich hoch und wurde Chefsekretärin.
Aber sie lachte alle Gerüchte über ein Verhältnis mit einem verheirateten Mann hinweg. Und die älteren Familienmitglieder wiesen den vorlauten Cousin zurecht.
Die Kinder mochten Tante Christine gern, weil sie schön lachte. Und auch sonst schön war, irgendwie fremdländisch schön.
Und weil sie die Liebe dieser Frau spürten, bis sie größer wurden, da wurde ihnen die Liebe eher peinlich.
Tante Christine bemerkte das natürlich und begann in dieser Zeit sich zurück zu ziehen. Zwar erschien sie regelmäßig zu den Familienfeiern, aber meist saß sie irgendwo im Hintergrund. Und wenn jemand sie ansprach, dann lachte sie immer noch, aber nicht mehr so fröhlich, es war ein wehmütiges Lachen der Entsagung. Ihre Haare wurden grau. Ihr Schönheit verging, und auf einmal war sie ein liebenswertes Fossil. Auf einer anderen Art fremd und ungewöhnlich schön.

Eines Tages wurde die alte Mutter krank, sehr krank. Und es begann die heroische Zeit von Tante Christine. Sie zog zur Mutter und pflegte sie. Fünf lange Jahre. Jeder, der von der Familie zu Besuch kam, schwieg erschüttert am Sterbebett der Mutter. Tante Christine aber saß täglich dort. Und man begegnete ihr mit Achtung und mit Staunen.
Auf den Familienfeiern, bei denen sie nicht mehr erscheinen konnte, flüsterte man von ihrem stillen Heldentum.
Die Mauer fiel und einiges geriet aus den Fugen der Zeit, es erschienen auch neue Verwandte und Ost und West begegnete sich. Natürlich besuchten alle die sterbende Mutter, Tante Christine saß im Hintergrund und ihr Lachen hatte sich in ein leises Lächeln verwandelt.
Doch bald erschien niemand mehr.
Fünf Jahre lang blieb Tante Christine am Sterbebett ihrer Mutter. Manchmal nimmt sich der Tod sehr viel Zeit, als wolle er die Überlebenden prüfen. Wenn es so ist, so hatte Tante Christine die Prüfung bestanden. Sie hielt in der letzten Stunde die Hand ihrer Mutter und rieb ihr das verschwitzte Gesicht trocken.
„Ach Chrissi“, flüsterte die Mutter, als würden sie noch in den alten Zeiten leben, „am meisten habe ich im Leben dein Lachen geliebt.“
Und die Tochter lachte noch einmal glockenhell, da starb die Alte mit einem Lächeln.
Die gesamte Familie erschien zur Beerdigung. Es gab einen großartigen Totenschmaus. Und so mancher brachte einen Toast auf die heldenhafte Tante Christine aus, doch sie wies das mit einem verlegenen Lachen ab. Und dann beachtete sie niemand mehr.

So gingen die Jahre dahin. Tante Christine wurde Rentnerin.
Die Familie wurde größer und größer, und man feierte immer noch die Feste. Tante Christine erschien regelmäßig, aber verhielt sich so unscheinbar im Hintergrund, dass mancher sie völlig vergaß. Nur, wenn mal jemand einen Scherz machte, und alle lachten, und es danach still wurde, klang immer noch so ein feines Kichern von Tante Christine nach. Darüber wunderte sich niemand mehr. An Gesprächen beteiligte sie sich nicht.

Die Familie hatte ein großes Haus.
Und wieder fand ein Fest statt. Es war ein heißer Tag, die meisten hielten sich im Garten auf. In der großen Wohnstube wurde es schummrig.
Der Junge Tom hatte sich mit seiner neuesten Liebe auf die Couch zurück gezogen. Julia hieß sie. Sie küssten sich.
„Wie liebst du mich?“ fragte Julia.
„Ich könnte dich auffressen, so liebe ich dich“, antwortete Tom und öffnete ihr die Bluse.
Auf einmal hörten sie ein leises Lachen.
Julia fuhr hoch, wer ist da und Tom machte die Lampe an.
Sie entdeckten in einer dunklen Ecke Tante Christine sitzen.
Tom rief, „aber Tante Christine, was machst du denn hier!“
„Ach Kinder, ich wollte euch doch nicht belauschen, ich saß hier ganz allein.“
Plötzlich schlug Tante Christine die Hände vor Gesicht und begann zu schluchzen.
Tom und Julia gingen zu ihr. Und Julia legte den Arm um ihre Schulter.
„Was ist denn, warum weinst du, Tante Christine?“
Die Tante beruhigte sich.
Sie sah die beiden an.
„Es ist nur, so etwas hat nie jemand zu mir gesagt.“
„Was denn?“ fragte Tom.
„Ich könnte dich auffressen, so liebe ich dich.“
Dann lachte Tante Christine wieder, obwohl sie noch die nassen Augen hatte, hinter denen Meere von Tränen schlummerten.
„Und jetzt, Kinder, lasse ich euch allein.“

Am nächsten Morgen fand man Tante Christine tot im Gästezimmer. Das Lachen in ihrem Gesicht war immer noch da, in einer gewissen Starre. Für alle Ewigkeit.

(nach einer Novelle von Maupassant)

Verrat am Kanzler

Günter Guillaume hat damals Willy Brandt zum Rücktritt gebracht, obwohl es gar nicht seine Absicht war. Weltpolitik halt, in der kleine Fische geopfert wurden. Brandt selbst war schon ein größerer Karpfen, der geopfert wurde, das roch eher nach Absicht, und zwar des BND.

Die ARD wird demnächst darüber eine Dokufolge bringen, man kann schon in der Mediathek sich das anschauen. Also wenn Sie auch so gern Geschichte verfolgen, suchen Sie sich das aus. Ich habe mir gerade die ersten zwei Folgen reingezogen, gut gemacht 🙂

Gerade die Anfangsjahre Deutschlands nach Hitlers Reich werden treffend gezeigt, oder. (Grins „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen“ Ulbricht zwei Monate vor dem 13. August 1961)

Ein Abschied – ein Neubeginn (Mach ’s gut. ich muß geh’n)

Wir laufen langsam, als würden wir noch träumen von den Küssen in der Nacht, die sind wie süße Feigen. Der Wind ist kühl und frisch, frisch gewaschen vom Regen der letzten Tage. Aber die Sonne tanzt heute lustig durch das bunte Laub der Bäume wie ein übermütiges Kinderlachen. Auf dem Fluss schwimmen die Enten, deren Gefieder schillert wie Edelsteine und sie quaken altklug daher, als kennen sie das Leben. Du schmiegst dich an meine Schulter und bist so voller Zärtlichkeit, von der nur alte Menschen etwas wissen.

„Mich regen diese frustrierten Kleinbürger auf“, sage ich, „die in den bunten Zeitungen nach Todesstrafe und Kastration für Kinderschänder schreien, als würden sie da nur ein einziges dieser kleinen Seelen retten“.

Schon am Nachmittag sitzen die Männer in den Kneipen und schwadronieren über Volkes Wille, und vor lauter Aufregung pinkeln sie sich in die Hose. „Da ist der Ruf nach einem Führer nicht mehr weit, der einen gesunden Volkskörper schafft und nebenbei mal paar Millionen Juden vergast. Mich graust vor dieser Welt.“

Du kicherst und kuschelst dich noch enger an meinem Arm. „Du und ich“, sagst du leise in mein Ohr, als wolltest du am Läppchen knappern, „wir ändern diese Welt nicht mehr. Meine Wut verpufft in der Luft wie ein Zuckerwölkchen. „Am liebsten würden sie den Kinderschändern das Gehänge abschneiden und am Maibaum baumeln lassen und mit Stechschritt vorbei marschieren, den Arm erhoben zum deutschen Gruße“

Du lachst hell auf.

„Bleib stehen und küss mich“, sagst du.

Ich gebe mich mürrisch, „und was sollen die Leute sagen?“ frage ich dich.

Dein Atem riecht nach Pfefferminz Bonbons, „welche Leute, die frustrierten Kleinbürger?“

„Ja, sie werden uns lynchen, denn das ist unzüchtig.“

Da finden deine weichen Lippen schon meine, und mich durchströmt ein warmes Gefühl. Ich streichle dir über das glänzende Haar.

„Ach, du Dummerchen, irgendwann verbieten sie auch die Liebe zwischen alten Menschen.“

„Dann werden wir eben gemeinsam im Kerker schmoren, oder sie verbrennen mich als Hexe und dich als Hexenmeister, aber wir haben es noch einmal erlebt.“

„Ja, ja, das Mittelalter lässt grüßen“, murmle ich finster.

Du aber lachst mich einfach aus.

„Komm, gehen wir heim“, sagst du.

„Und dann?“

„Schließen wir die Tür hinter uns.“

„Vor wem?“

„Vor der Welt.“

Ach ja.

Auf dem Rückweg schreit uns die große Überschrift einer Bildzeitung an, „Deutschland fordert die Todesstrafe“. Ich bin so müde von diesem Scheiß.

Monate später.

Vor ein paar Tagen hast du deine Sachen geholt, deine Siebensachen. Ich war für diese Zeit in ein Café gegangen Fast ein Jahr ging es gut mit uns beiden, meine Liebe.

Du hast deinen Schlüssel auf den Tisch gelegt und ein Foto daneben gestellt, auf dem wir so glücklich dreinschauen… tja, „…wir durften es erleben“ hast du darauf geschrieben… und mir einen SMS geschickt, dass du gehst.

Als ich kam, habe ich nicht geweint hinter der verschlossenen Tür, obwohl ich ja allein bin. Es hätte niemand bemerkt. Da weint man doch nicht für sich allein. Ach Liebste, danke für alles, mach ’s gut, ich muss auch gehen…wohin, das wissen die Götter.

Wir dürfen doch nicht aufhören, die Welt ändern zu wollen. Wegen so ein klein bisschen Glück? Oder. Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich eine neue, heißt es.

Gute Nacht, Liebste. Alles Gute für dich…

(23.08.2009 00.00 Uhr)

Emma Mielke 18

(Sonntagsgeschichte, bearbeitet)

Die alte Emma ging zum Geländer am Ufer des Parkteichs und schüttete die Tüte mit den Brotkrumen ins Wasser. Die Enten näherten sich und schnatterten …

Sie ging zurück und setzte sich auf die Bank. Ihr Mantel war warm genug, um ein paar Minuten zu verweilen.

Sie hatte keine Wut mehr im Herzen, es war alles so gekommen, wie es kommen musste.

Seitdem hatte sie den Jungen nicht mehr gesehen.

Nur zwei Tage nach dem Mauerfall bekam sie einen Anruf.

„Waltraud hat sich erschossen“, sagte eine brüchige Stimme, und sie erkannte Dieter. Sie schwieg.

„Mit meiner Pistole“, sagte Dieter.

Emma wartete einen Moment. Sie räusperte sich.

„Wo und wann ist die Beerdigung?“ fragte Emma.

„Ich möchte nicht, dass du zur Beerdigung kommst.“

Und er legte auf.

Die Bank am Teich war schon seit Jahren ein Ziel für Emmas Ausflüge. Natürlich häufiger in den warmen Jahreszeiten, aber die Vorweihnacht zeigte sich dieses Jahr mild wie ein Frühling.

Emma hatte die Wahl mit der Straßenbahn zwei Stationen zum Park zu fahren … oder zu laufen, das hielt sie fit. Heute war sie gelaufen, aber nicht wegen der Fitness. Die war in ihrem Alter nicht mehr so wichtig.

Aber die Gesundheit schon, sagte ihr eine innere Stimme, die sie auch immer wegen des Bauchproblems plagte. Vielleicht war das Laufen da empfehlenswert.

Die Stadt und die Bahnen waren voller Menschen, die mit Hast nach den Geschenken suchten; als könnten sie da ihre Erinnerungen nach schöne Weihnachten wieder einfangen.

Die alte Emma hatte niemanden zu beschenken; und der Gedanke an die kleine Jella war wohl eine Schwäche ihres Gefühls, eine Sentimentalität.

An der frischen Luft konnte sie ihr Denken auslüften, das war das Wichtigste.

Alles, was sie beschäftigte, erlebte sie in Gedanken, oft in Rede und Gegenrede.

Was aber sollte sie Jakob sagen, wenn er Morgen zu Besuch kommt?

Sie musste verantwortlich damit umgehen.

Einmal, das muss schon vor sieben oder acht Jahren gewesen sein, saß sie im Frühsommer auf der Bank und beobachtete die Landschaft, die Menschen … ganz in Gedanken, und genoss den Frieden des Parks. Da stand plötzlich ein Mann, vielleicht so Mitte fünfzig, neben ihr und sah sie an. Er sah sie so an, wie man ein vergessenes Bild betrachtet und sich zu erinnern sucht. Emma schaute ihn auch an und lächelte, es war Markus, sie erkannte ihn wieder.

„Emma?“ fragte er, „Emma Mielke?“

„Ja“, sagte Emma, „Markus, setze dich zu mir.“

Markus war ein enger Freund Reinhards gewesen. Auch er war damals in Prag dabei, als sie die Panzer fotografierten; auch er wurde verhaftet.

Aber aus irgendeinem Grund gelang es einem Rechtsanwalt ihn frei zu bekommen, während Reinhard in seiner Zelle tobte, wurde Markus verschont.

Damals vor sieben oder acht Jahren führten sie ein langes Gespräch und der nun schon über Fünfzigjährige offenbarte eine innere Zerrissenheit, warum sein Freund so zu Tode kommen musste. Er selbst durfte sogar an die Uni zurückkehren, schrieb seine Doktorarbeit und wurde ein erfolgreicher Physiker.

Emma sagte ihm, dass sie ihn einmal im Fernsehen gesehen hatte, als er für seine wissenschaftliche Arbeit ausgezeichnet wurde mit einem Orden und Erich Honecker ihm persönlich die Hand schüttelte.

„Ja“, sagte er, „dafür schäme ich mich noch heute.“

Nein, hielt ihn Emma ab, dafür müsse er sich nicht schämen. Die Willkür in einer Diktatur verschonte die einen und bestrafte die anderen, ohne dass man es nachvollziehen konnte.

„Ich hatte ja dann Kinder und Familie“, sagte er.

Emma lächelte in diesem Moment, weil sie fühlte, dass sie keine Bitterkeit mehr in sich hatte.

Markus verabschiedete sich mit den Worten:

„Wir hatten alle Reinhard beneidet um seine schöne Freundin und Emma, Sie sind ja immer noch schön.“

Die alte Emma lächelte und stand auf. Es war nun doch sehr kühl geworden. Sie ging die kleine Anhöhe hoch, wo ein Pavillon stand. Damals musste sie doch schon 70 Jahre alt gewesen sein. Da sind Frauen nicht mehr schön, höchstens interessant, während Männer mit 70 nicht mehr interessant sind, aber manche halten sich für schön. Sie lächelte amüsiert und sah auf die Enten wie zum Abschiedsgruß, die sich wunderten über den Besuch und die Brotfütterung.

Drinnen konnte sie sich aufwärmen und eine Tee trinken.

Als sie in den Raum trat, saß da Paul Brandner, als hätte er auf sie gewartet.

Emma lächelte, als hätte sie damit gerechnet.

Sie ging zu ihm an den Tisch und grüßte.

Paul Brandner sagte:

„Emma, ich wollte sie nicht stören, Sie lächelten so versonnen auf ihrer Bank, ich kam hier zufällig vorbei.“

„Zufällig?“ sagte Emma.

Und sie dachte, was ist schon Zufall? Ist unser Leben nicht wie die Erzählung in einem Buch, in dem eins zu dem anderen passt?

„Ich dachte gerade an das letzte Kompliment, das ich in meinem Leben bekam, das war wohl vor acht Jahren.“

Paul Brandner lachte.

„Ein Kompliment kann ich Ihnen noch heute machen.“

„Und welches?“ fragte Emma.

Emma fühlte sich erholt durch die frische Luft. Der kleine Pavillon war leer, auch draußen im Park war es menschenleer. Nur Paul saß hier und strahlte sie an. Vor ihm stand eine Tasse Kaffee.

„Sie verfolgen mich“, sagte Emma und lächelte sanft. Sie bestellte bei der jungen Kellnerin, die so müde aussah als hätte sie die Nacht nicht geschlafen:

„Einen Tee und einen kleinen Rum.“

Paul lehnte sich zurück.

„Ich habe Sie tatsächlich gesehen wie Sie in den Park gingen, habe mein Auto geparkt und bin Ihnen gefolgt.“

„In Ihrem Alter fahren sie noch Auto?“

Paul lachte.

„Finden sie mich gebrechlich?“

„Nein.“

Aber Emma dachte, mit über achtzig Jahren sollte man trotzdem nicht mehr Auto fahren, verschwieg jedoch besser den Gedanken.

Die junge Kellnerin kam und brachte ihr Tee und Rum und lächelte als würde sie Emma und Paul Sympathie schenken wollen, Emma lächelte dankend zurück. Die junge Frau war groß und schlank und wirkte etwas schlaksig, fast grazil – sie erinnerte Emma an sich selbst, als sie jung war. Und ihr Lächeln war eine Botschaft vom Alter zur Jugend, die es durchaus gibt, wenn man sich innerlich verwandt fühlt. Paul schien diese Sprache der Augen zu verstehen und lächelte selbst auf eine versonnene Art.

„Wohl bekommt ’s“, sagte die Kellnerin, das klang warmherzig und altmodisch.

Es war sehr still im Gastraum, eine Kaffeemaschine blubberte vor sich hin. Die Stille war ja auch draußen wie die Stille einer unwirklichen Welt … oder eines Bilds der Sachlichkeit.

Paul schwieg auch.

Als sie durch die Stadt ging, war die so voller Hektik, die Menschen sahen nicht glücklich aus, weil sie eilen und einkaufen mussten für die Weihnachtszeit.

Als wäre Emma hier auf einer Insel angelangt.

„Ich fahre ja sehr vorsichtig“, sagte Paul.

Emma nickte und trank einen winzigen Schluck vom Rum.

„Ich habe Sie da auf der Bank beobachtet, Sie wirkten so zufrieden“ sagte er.

„Ja“, sagte Emma, „das bin ich ja auch.“

Paul schwieg wieder.

Plötzlich sagte er wie aus einer Überlegung heraus:

„Emma, ich denke, Sie sind irgendwie aus der Welt gefallen, ja, Sie sind ein aus der Welt gefallener Engel, ja, das sind Sie, ohne Sünde und mit sich selbst im Reinen.“

Emma war verdutzt und lachte laut auf.

„Wie kommen Sie denn auf so was“, sah ihn etwas schmunzelnd an, „soll das etwa Ihr angesagtes Kompliment sein?“

Paul Brandner nickte, in seinen Augenwinkeln nisteten Lachfalten, die sich jetzt ausbreiteten wie eine Garbe Sonnenstrahlen „ja, ja, das ist mein Kompliment für Sie … ich habe gesehen, wie Sie leben, kein Fernseher, kein Computer, die vielen Bücher, ihr Klavier, alles wirkt so aufgeräumt und klar. Sie sind jedoch überhaupt nicht unzufrieden, so in sich ruhend – und trotzdem sind Sie auch den Menschen gegenüber zugewandt und freundlich; und auf eine angenehme Art distanziert. Wie begeistert der Hans über Sie gesprochen hat …“

Emma legte ihm die Hand auf den Arm.

„Hören Sie auf“, sagte sie, „ich bin eine alte und unbedeutende Frau und kein Engel – und ich brauche auch nicht solche Lobeshymnen.“

„Aber Sie sind so sehr allein“, sagte Paul, „wenn Sie wüssten wie viele unzufriedene alte Menschen es gibt, die ihre Tage mit Jammern verbringen …“

„Das will ich erst gar nicht wissen“, unterbrach ihn Emma und grinste sogar.

„Wenn Sie möchten“, sagte die junge Kellnerin mir ihrer warmen und dunklen Stimme, die hinter dem Tresen auftauchte, „können Sie hier ruhig rauchen.“

Paul Brandner schmunzelte überrascht.

„Danke, Sie können stumme Fragen beantworten.“

Die junge Frau lachte ebenfalls und verschwand schon wieder.

Emma trank noch einen winzigen Schluck vom Rum.

Dann sah sie zu, wie er sich eine Zigarre anzündete. Es wurde gemütlich.

„Am Mittwoch ist die Beerdigung von Hans, wir wollen alle hingehen, kommen Sie mit?“ fragte Paul und wedelte den Rauch beiseite.

„Wer sind denn wir?“ fragte Emma.

„Meine Enkelin und meine Urenkelin und ich.“

Emma überlegte.

„Ich gehe zum Friedhof, aber ich möchte allein gehen, vorher besuche ich noch ein anderes Grab.“

„Es werden hunderte Menschen kommen“, sagte Paul.

Schlimm ist der Herdentrieb

Wer nicht mit der Masse läuft, steht plötzlich außen vor.

https://www.berliner-zeitung.de/gesundheit-oekologie/maren-wurster-und-corona-aufarbeitung-ich-habe-grausames-und-unmenschliches-erlebt-li.2204077

Sagen Sie offen oder schreiben Sie, dass Sie gegen Waffenlieferungen an die Ukraine sind, schon sind Sie ein Putinfreund und quasi ein „Feind“ Das war wohl mit der Impfung ähnlich. Heute frage ich mich, ob es notwendig war, aber ich habe es überstanden….die Impfung, meine ich.

Jede/r mag nur für sich selbst entscheiden, welcher Meinung er oder sie sich anschließt. Grundsätzlich.

Tante Liese

(Diese Geschichte wird oft angeklickt, wenn jemand meinen Blog sucht. Ich weiß nicht, warum, das ist für mich als Betreiber völlig anonym, welche Personen hier lesen. Aber ich denke mir schon was. Viele Internetforen haben ja inzwischen die Rolle der Familie übernommen. Von den Familien sagte einst Tucholsky: „An dem Wort Familienbande ist was Wahres dran.“

Genau genommen ist es wie ein Rollenspiel in der Psychologie, irgendeiner ist immer das schwarze Schaf. Wer darunter leidet, trennt sich besser von der Bande oder er macht es wie ich, sich einfach amüsieren, gibt ja sonst nicht viel zu lachen, oder Natürlich hat Tante Liese und ihre Familie nichts mit meiner Familie zu tun. Nix da, hier wird auch nicht diskutiert und gestritten in diesem Blog.

Manfred Krug, so erzählte mal irgendeine Schauspielerin, die damals auch schon vor dem Mauerfall in den Westen übersiedelte mal: „Krug gab mir den Tipp, nie in eine Talkshow zu gehen, sie wollen nichts anderes, als hinter dein Geheimnis zu kommen.“ Damals war das Internet noch am Anfang. Und selbstverständlich habe ich den Namen der Schauspielerin vergessen. Und Krug ist verstorben, leider, er hatte so eine klare Art, etwas zu benennen. In diesem Sinne, seien Sie nicht so verschwatzt und plaudern wildfremden Menschen alles aus, was Sie so bewegt im Inneren irgendeiner Tante Liese aus, smile. Dass Sie ein toller Menschn sind, glaubt Ihnen eh keiner. :- Manche strengen sich da richtig an, alles umsonst.)

Viel Spaß beim Lesen, natürlich handelt es sich nicht um meine echte Familie (wer ist das überhaupt? Alles fiktiv. Ich schriebe nur zum Spaß und sonst gar nichts.)

„Na, Vater.“

„Na, Sohn.“

Wir begrüßen uns immer so am Telefon. Ich sehe ihn grinsen vor meinem inneren Auge. Ich grinse auch.

„Weißt du, warum ich anrufe?“

„Woher soll ich das wissen, brauchst du Geld? Ich hab’ keins.“

Er lacht kurz auf.

„Die Tante hat angerufen.“

„Ach Herrje.“

Tanten gibt es viele in der Familie. Aber ‚die Tante’ kann nur eine sein. Sie lebt seit mindestens zwanzig Jahre allein. Tante Liese. Die Oberhenne der Familie.

„Sie hat uns eingeladen. Am Wochenende.“

Ich stutze.

„Wieso, hat sie Geburtstag? Und wer ist uns?“

„Nein, sie hat keinen Geburtstag, aber Onkel Walther.“

Onkel Walther war der Mann von Tante Liese. Er ist seit mindestens zwanzig Jahren tot.

Und Tante Liese gibt immer noch ein Festessen anlässlich seines Geburtstages. Immer kurz vor Weihnachten. Wenn mich meine Erinnerungen nicht täuschen, hassten sich die beiden bis aufs Messer, als er noch lebte. Inzwischen ist es reine Liebe.

„Und am Wochenende wird gefeiert, die Tante kocht.“

„Genau“ meint mein Sohn trocken.

„Und wieso bist du uns?“

„Vater, ich hab ne Freundin.“

Ich stutze erneut.

„Und das hast du der Tante erzählt.“

„Nein, natürlich nicht, aber sie weiß es von Clara.“

Der Junge bringt mich zur Verzweiflung.

„Wer ist Clara?“

„Meine Kusine, Vater, deine Nichte.“

Ich schweige und versuche Clara einzuordnen. Der Junge spricht geduldig.

„Ich wollte dich ja nur vorwarnen, sie wird bestimmt noch heute anrufen.“

„Wart mal ’n Moment.“

Ich zünde mir eine Zigarette an.

„So, alles klar, ich bin vorgewarnt werd’ sehen, dass ich am Wochenende arbeiten muss, feiert mal schön ohne mich.“

Mein Sohn lässt sich nicht so leicht abwimmeln.

„Das kannst du uns nicht antun, wir kommen schließlich auch.“

Uns nicht antun! Wir! Schließlich auch! Sind das die Gene von Tante Lieses Vater, einem gemeinsamen Vorfahren? Ich muss das überprüfen.

„Sag mal, was hast du der Tante über mich erzählt?“

„Nichts weiter.“

Ich kenne meinen Sohn. Ich höre ihn lügen.

„Komm, sei ehrlich.“

„Na, ja, sie wollte wissen, ob du jetzt allein lebst.“

Ich werde hellhörig.

„Und?“

Er kichert.

„Ich sagte ihr, du hättest laufend eine andere Freundin.“

„Spinnst du, du weißt, ich lebe allein.“

„Ich weiß gar nichts, also, wir sehen uns am Wochenende, lernst mal meine Freundin kennen.“

Er legt auf.

Ich gehe in Küche und hole mir ein kaltes Bier aus dem Kühlschrank. Dann ziehe ich mir ’Brisant’ rein.

Sara und Pietro wollen sich trennen. Wer ist Sara und Pietro? Sie waren mal bei DSDS. Angelina gibt sechs Kinder zur Adoption frei, gern auch bei armen Leuten, um Brad eins auszuwischen. Wer ist Brad, wer ist Angelina? Muss man sie kennen? Horst Seehofer will nach Berlin, weil er dort eine Zweitfamilie hat, wer um Himmels Willen ist Horst Seehofer?

Das Telefon läutet. Tante Liese.

„Hallo, mein Junge, ich wollte dich nur einladen, am Sonnabend trifft sich die Familie bei mir. Es gibt Hasenbraten und Fisch.“

„Wegen Onkel Walthers Geburtstag?“

Tante Liese freut sich.

„Schön, dass du es nicht vergessen hast.“

Ich räuspere mich.

„Sag jetzt nicht, du kannst nicht am Sonnabend.“

„Ja, eigentlich.“

Sie unterbricht mich barsch.

„Nichts eigentlich.“

„Tante Liese!“

Sie lässt mir keine Chance.

„Dein Sohn kommt auch mit seiner Freundin. Übrigens meine ich, sie sollte erst einmal ihr Studium beenden, bevor die beiden sich ein Kind anschaffen.“

„Ja, ja, ich denke auch.“

Herrje, Tante Liese!

“Macht es dir viel aus, wenn du allein kommst und nicht deine derzeitige Freundin mitbringst?“

Mein Sohn ist ein hinterlistiger Schweinehund.

„Ach, das ist kein Problem, wir haben sowieso gerade Streit.“

„Ich wollte nämlich deine geschiedene Frau auch einladen.“

Das verschlägt mir die Worte zurück in den Mund. Aber Tante Liese verstummt nicht. Unverändert hart klingt ihre Stimme.

„Du hast doch nichts dagegen?“

„Tante Liese, wir sind getrennt, und du wirst uns nicht wieder versöhnen, ich glaube nicht, dass sie kommt.“

„Das werden wir ja sehen.“

Ich wechsle lieber das Thema. Gegen Tante Liese kann eh keiner etwas ausrichten.

„Warum kochst du Hasenbraten und Fisch?“

Tante Liese klingt gereizt.

„Du weißt doch, dass Edwin keinen Fisch verträgt.“

„Ach ja.“

„Bis Sonnabend also, komm schon zum Kaffee.“

Sie legt einfach auf.

Ich gehe zurück in die Stube. Sie bringen die Nachrichten. In Berlin wollten Terroristen den Präsidenten killen. Muss man sich seinen Namen merken? Kennt er mich?

Nachdenklich zünde ich mir eine Zigarette an.

Wer ist eigentlich Edwin?